Dorothee Sölle und das Politische Nachtgebet in der Antoniterkirche Köln

Dorothee Sölle und das Politische Nachtgebet in der Antoniterkirche

Dorothee Sölle

Ab Oktober 1968 beherbergte die Antoniterkirche das "Politische Nachtgebet", durchgeführt von einem ökumenischen Arbeitskreis, dem unter anderem Dorothee Sölle, Fulbert Steffensky, Marie Veit, Heinrich Böll, Klaus Schmidt und Egbert Höflich angehörten.

Geboren wurde Dorothee Sölle am 30. September 1929 in Köln. Ihr Vater ist der Arbeitsrechtler Hans Carl Nipperdey, ihr Bruder Thomas Nipperdey wurde ein berühmter Historiker. Nach dem Abitur studiert sie ab 1949 in Köln und Freiburg alte Sprachen und Philosophie. Durch ihre ehemalige Religionslehrerin Marie Veit ermutigt, beschäftigt sich Dorothee Nipperdey mit der Religion und schreibt sich 1951 in Göttingen für Germanistik und Theologie ein. Nach ihrer Promotion wird sie am Genoveva-Mädchen-Gymnasium in Köln-Mülheim Deutsch- und Religionslehrerin. 1954 heiratet Dorothee den Maler Dietrich Sölle, von dem sie sich nach zehn Jahren Ehe wieder scheiden lässt.

1969 heiratet sie den ehemaligen Benediktinerpater Fulbert Steffensky, mit dem sie 1970 eine Tochter bekommt. 1971 habilitiert sie über das Verhältnis von Theologie und Dichtung. Eine ordentliche Professur bleibt ihr in Deutschland zeit ihres Lebens verwehrt.

Das Politische Nachtgebet in der Antoniterkirche

Pfarrer Jörg Eichert beim Politischen Nachtgebet in der Antoniterkirche

Dorothee Sölle vertrat die Auffassung, dass zwischen christlicher Lebensführung, politischem Engagement und Theologie nicht zu trennen sei: „Theologisches Nachdenken ohne politische Konsequenzen kommt einer Heuchelei gleich. Jeder theologische Satz muss auch ein politischer sein“, schreibt sie. Aus diesen Überzeugungen hinaus initiierte sie das von 1968 bis 1972 monatlich stattfindende „Politische Nachtgebet“ in der Antoniterkirche. Die Idee war beim Essener Katholikentag im September 1968 entstanden . Ein Ökumenischer Arbeitskreis Köln - bestehend aus Dorothee Sölle, Fulbert Steffensky, Marie Veit, Heinrich Böll, Egbert Höflich und anderen - wollte hier das Experiment wagen und, so Sölle - "den Satz, daß Glaube und Politik untrennbar sind, in die Praxis umsetzen". Die Veranstalter setzten den Gottesdienst erst auf 23 Uhr an, wodurch die Veranstaltung ihren Namen erhielt: "Politisches Nachtgebet".
Die Mitwirkenden selbst wollten ihr Projekt weiterführen und fanden schließlich in der Antoniterkirche Köln eine Heimat. Im Oktober 1968 fand das erste Politische Nachtgebet in der Antoniterkirche Köln statt - mit über 1000 Menschen.

Das Politische Nachtgebet gab Dorothee Sölle die Möglichkeit, ihre Vorstellung von Christentum in einer Kirche umzusetzen. Angesichts der Schrecken des Dritten Reiches kommt sie zum Schluss, dass Gott nicht allmächtig, sondern auf die Hände der Menschen angewiesen ist. Deshalb wehrt sich Sölle gegen eine Theologie, die sich mit einer guten Gesinnung zufrieden gibt. Im von Dorothee Sölle für das Politische Nachtgebet formulierten Credo heißt es:
„Ich glaube an Gott/ der die Welt nicht fertig geschaffen hat/ wie ein Ding, das immer so bleiben muß,/ der nicht nach ewigen Gesetzen regiert,/ die unabänderlich gelten,/ nicht nach natürlichen Ordnungen/ von Armen und Reichen,/ Sachverständigen und Uniformierten,/ Herrschenden und Ausgelieferten. […]/ Ich glaube an Jesus Christus,/ der aufersteht in unser Leben,/ daß wir frei werden/ von Vorurteilen und Anmaßung,/ von Angst und Haß,/ und seine Revolution weitertreiben/ auf sein Reich hin.“

Lektüretipp:

Anselm Weyer: Liturgie von links. Dorothee Sölle und das Politische Nachtgebet in der Antoniterkirche. Herausgegeben für die Evangelische Gemeinde Köln von Markus Herzberg und Annette Scholl. Köln: Greven Verlag 2016.

Erhältlich im AntoniterFoyer und im Buchhandel.

Weitere Informationen


Dorothee Sölles letztes Nachtgebet in der Antoniterkirche

Dorothee Sölle predigt in der Antoniterkirche Köln

Die Politischen Nachtgebeten basierten laut Sölle auf den Grundpfeilern Information, Meditation, Diskussion und Aktion. Sie beschäftigten sich engagiert mit der Verbindung von Glauben mit aktuellen Themen wie Santo Domingo und Vietnam, Diskriminierungen, Autoritäre Strukturen in der Kirche, Diskriminierung der Frau, Bodenspekulation, Mitbestimmung, DDR, Schuldige Christen, Strafvollzug, Entwicklungshilfe, usw. Berühmt geworden ist das Motto „Vietnam ist Golgatha“.
Viele Mitglieder der Kirche empfanden diese Verknüpfung von Christentum und Politik als skandalös. Trotz aller Kritik aber setzte sich die Idee durch und fand viele Anhänger. So nahm das Politische Nachtgebet in der Antoniterkirche ihren Ausgang, aber zu Hause ist es heute in der ganzen Welt.

Am 18. Mai 2002 feierte Dorothee Sölle letztmals ein Politisches Nachtgebet in der Antoniterkirche Köln. Das Thema, das sie gemeinschaftlich mit Maria Mies und Mechthild Höflich vorbereitete, lag ihr besonders am Herzen: "Our World Is Not For Sale".

Dorothee Sölles streitbares Leben

Dorothee Sölle

Dorothee Sölle war und blieb streitbar. Sie kämpfte bis zu ihrem Lebensende mit theologischer Argumentation gegen den Vietnamkrieg, gegen den Nato-Doppelbeschluss zur Nachrüstung und gegen den Irak-Krieg. Sie wurde wegen versuchter Nötigung verurteilt, weil sie an den Sitzblockaden vor den Massenvernichtungswaffen in Mutlangen und dem Giftgasdepot in Waldfischbach teilnahm.
Sie kämpfte für ihre Überzeugungen und scheute die offene Konfrontation nicht - auch nicht mit ihrer eigenen Kirche. Beispielsweise protestierte die Evangelische Kirche in Deutschland energisch, als Sölle 1983 auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Vancouver ein Referat halten durfte, obwohl sie doch nur eine Randposition in der Kirche einnehme. In ihrer Rede warf sie dann auch den westlichen Kirchen „Militarismus“ und die „Apartheitstheologie“ gegenüber der Dritten Welt vor.

Dorothee Sölles Tod

Dorothee Sölle starb am Sonntag, den 27. April 2003 im Alter von 73 Jahren als vierfache Mutter und als Großmutter an einem Herzinfarkt. An ihrer ehemaligen Wirkungsstätte, der Antoniterkirche, wurde am Montag, 5. Mai 2003, ein Gedenkgottesdienst gefeiert, in dem unter anderem der damalige Superintendent des Kirchenkreises Köln-Mitte, Pfarrer Rolf Domning, Person und Werk würdigte.

Auch in den folgenden Jahren veranstaltete die AntoniterCityKirche Dorothee Sölle gewidmete Gedenkveranstaltungen, bei denen etwa ihr Sohn Martin Sölle und viele ihrer Weggefährten wie Klaus Schmidt, Peter Busmann oder Maria Mies mitwirkten.

Dorothee Sölle 2002 bei ihrem letzten Politischen Nachtgebet in der Antoniterkirche Köln.