Unser Vortragekreuz

Erklärt

GOTTESDIENST VERSTEHEN UND ERLEBEN​

Diesmal möchte ich Ihnen etwas näherbringen, das die Besuchenden der anglikanischen Gottesdienste oder bei der Überführung des Gedenkbuches für die Unbedachten bereits erleben konnten: ein Vortragekreuz oder Prozessionskreuz.

Zugegeben: In der Evangelischen Kirche im Rheinland begegnete Ihnen ein solches Vortragekreuz bislang vermutlich eher selten bis gar nicht. Das kann und darf aber kein Argument sein, warum es solch ein Kreuz, das zu bestimmten gottesdienstlichen Anlässen vorweg getragen wird, nicht geben sollte.
Ich erinnere mich noch gut an die Beerdigung meiner Tante im bayerischen Ingolstadt. Bei der evangelischen Beisetzung ging den Trauernden auf dem Friedhof der Küster mit einem Vortragekreuz vorweg. Welch ein Zeichen! Denn das vorausgetragene Kreuz erinnerte die Teilnehmenden daran, dass Jesus selbst uns in den Tod vorausging – und dass er uns, als der über den Tod triumphierende Christus, nun an der Schwelle des
Todes entgegen kommt.

Doch nicht nur bei der Beisetzung macht solch ein Prozessionskreuz Sinn. Auch an hohen Feiertagen kann das Vortragekreuz dem Einzug in die Kirche vorangehen: In diesem Symbol wird anschaulich nachvollziehbar, dass Christus selbst in die in seinem Namen versammelte Gemeinde einzieht. Es wird unmissverständlich deutlich und nachvollziehbar, dass eine Gemeinde, die sich beim Einzug erhebt, nicht etwa für den Pfarrer oder die Presbyterinnen aufsteht, sondern für Christus selbst.

Auch für sich gesehen ist der Einzug kein exklusiver Moment für Presbyter oder Pfarrerinnen. Er soll keineswegs verdeutlichen, dieser Personenkreis sei in irgendeiner Weise „heiliger“ als die Gemeinde. Vielmehr kommen die Einziehenden aus der Mitte der Gemeinde und ziehen beim Auszug wieder in diese zurück. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es die Gemeinde selbst ist, welche die Liturgen und Liturginnen
dazu beauftragt, den Gottesdienst zu leiten und mit der Gemeinde gemeinsam zu feiern.

Auf unserem neuen Vortragekreuz aus Bronze sehen Sie in der Mitte Christus als den Gekreuzigten und Auferstandenen. Die Enden der vier Kreuzarme zeigen die Symbole der vier Evangelisten, die in ihren Evangelien von Christus berichten.

Bereits seit dem 4. Jahrhundert werden die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes in der christlichen Ikonographie durch vier geflügelte Wesen dargestellt: Ein Mensch oder Engel versinnbildlicht Matthäus, der Löwe Markus, der Stier Lukas und der Adler Johannes. Diese Zuschreibungen gehen zurück auf die Kirchenväter, die dies in Anlehnung an das Buch des Propheten Ezechiel (Ez 1,4-10) und die Offenbarung des Johannes (Offb 4,6-8) so deuten.

Ihr Pfarrer Markus Herzberg